Es ist das Jahr 1995: Über 750.000 Besucher strömen auf die CeBIT. Die Hallen sind voll, die Wege lang, das Verkehrsaufkommen immens. Es ist der Anfang einer Erfolgsgeschichte, Ende der 90er Jahre platzt die CeBIT aus allen Nähten und neue Besucherrekorde werden aufgestellt. Wenigstens gibt es bei all dem Trubel kaum Ablenkungen. Bei den meisten Menschen sind Mobiltelefone und Internet noch nicht angekommen, beim Standpersonal ist es erst recht kein Thema. Niemand kann Termine leicht absagen, Verschiebungen sind nicht kurzfristig kommunizierbar. Nebenher werden keine E-Mails beantwortet. Auf den Ständen regieren die Fax-Geräte und die Festnetz-Telefone. Die Microsoft-Mitarbeiter kennen sich ohnehin alle persönlich. Microsoft Deutschland ist seit 1986 regelmäßig Aussteller auf der CeBIT. Der Microsoft-Stand ist in Halle 2. Dort sind unter anderem Windows 95, Windows NT und das neue Office zu sehen. Windows 95 kommt erst im August 1995 auf den Markt. Die Messe ist somit eine gute Gelegenheit, das brandneue System mal vorab in Augenschein zu nehmen.
Eine spannende Zeit also auf der Messe. Doch die eigentliche Sensation bestand darin, dass Bill Gates am 12. März 1995 nach Hannover kam. «Die ganze Messe stand Kopf. Alles war furchtbar geheim. Ich durfte Gates damals vom Helikopter abholen und über Schleichwege durch die Katakomben führen, weil niemand wissen sollte, wo er sich aufhält. Er ist noch kurz zum Duschen verschwunden und danach direkt auf die Bühne, um Windows 95 vorzustellen», erinnert sich Martina Lübon, Director CeBIT. Der Microsoft-Gründer hatte damals im größten Saal auf dem Messegelände gesprochen, aber weil der Andrang so groß war, wurden in anderen Räumen Bildschirme platziert und die Rede live übertragen.
Gates war damals 39 Jahre alt. Er spricht über «Information at Your Fingertips». Im Mittelpunkt steht ein Spielfilm, der zeigt, wie man Verbrechen mit modernen Mitteln aufklären kann. Es ging um einen Kunstschmuggel und seine rasante Aufklärung mit den wunderbaren Hilfsmitteln künftiger Kommunikation. Die Gegenspieler der Schmugglerbande, ein cleverer Schuljunge und seine Mutter, recherchierten in dem Film von der Küche aus im «Cyberspace» alle Details zur präkolumbianischen Kunst und landeten schließlich in einem Museum mit virtuellen Picasso-Bildern auf Flachbildschirmen mit hoher Auflösung. Die Besatzung eines Krankenwagens konnte in dem Microsoft-Film noch während der Fahrt über eine Videoverbindung mit der Klinik kommunizieren, die Polizisten im Einsatzwagen verschafften sich schon unterwegs einen Überblick vom Tatort und steuerten den Einsatzcomputer mit Sprachbefehlen. «Sie werden sehen, in zehn Jahren wird sich diese Technik natürlich in unser Leben einfügen», versprach Gates seinen Zuhörern.
Viele der Visionen sind heute tatsächlich Wirklichkeit geworden, auch wenn Microsoft es nicht immer gelang, selbst die entsprechenden Produkte kommerziell erfolgreich am Markt zu platzieren. Mit dem vernetzten Mini-PC in der Jackentasche aus dem Film beispielsweise verbinden heute viele Anwender eher Markennamen wie «iPhone» von Apple oder «Android» von Google als «Windows» von Microsoft. Gates war aber vor 20 Jahren schon klar, dass Computer in der Zukunft mit Sprache gesteuert werden oder das herkömmliche Portemonnaie einer digitalen Geldbörse weichen wird. In einem Punkt lag der Microsoft-Gründer aber komplett daneben. Auf der CeBIT 1995 glaubte er noch, mit einem eigenen Microsoft Network dem Web Paroli bieten zu können. Erst einige Monate später erkannte Gates seinen fatalen Irrtum und befahl seinen Programmierern die Wende. Nur mit der umstrittenen Bündelung des Webbrowsers Internet Explorer mit dem Erfolgsprodukt Windows konnte Microsoft aufholen und den Vorsprung des Konkurrenten Netscape wieder wettmachen. (mit Material der dpa)