Die Revolution des Gesundheitswesens wird am Körper getragen: «Wearables» – Fitnessarmbänder und Smartwatches – machen Versicherte zu gläsernen Patienten. In New York sammelt ein Krankenversicherer die Daten seiner Kunden bereits auf diese Weise ein und zahlt den Leuten Prämien dafür, sich gut in Schuss zu halten. US-Medien sind begeistert, die «New York Times» wähnt das nächste Spotify, Uber oder Airbnb. Daten aufzeichnen und Trainingseifer belohnen – sieht so die Krankenversicherung von Morgen aus? «Wir sind Oscar, eine neue Art der Gesundheitsvorsorge» steht derzeit auf Werbeplakaten, die das New Yorker U-Bahnnetz in Beschlag nehmen. Oscar Health ist ein Start-up aus Manhattan und gilt als großes Tech-Versprechen im verschnarchten Versicherungsmarkt. Die Firma will den Markt aufmischen wie der Fahrdienstvermittler Uber oder das Mitwohnportal Airbnb das Taxi- und das Hotelgewerbe. Auch Oscar kommt als kreativer Zerstörer mit Hipster-Anstrich: Firmenblog, schicke App, breite Social-Media-Präsenz und Geld aus dem Silicon Valley.
Firmengründer Josh Kushner, 29, will sich gezielt vom Rest der als ineffizient und gierig verpönten Branche absetzen. «Viele Leute in dieser Industrie sind einfach nur böse», sagte Kushner kürzlich bei einer Veranstaltung der Clinton Foundation. «Wir nutzen Technologie und Design, um Gesundheitsvorsorge simpel, intuitiv und human zu machen.» Darunter versteht der Geschäftsmann, der einem New Yorker Immobilienclan entstammt und seine Karriere bei Goldman Sachs begann, auch Daten zu sammeln und Kunden für gute Gesundheit zu belohnen. Oscar schickt Versicherten Smartwatches und zahlt Prämien, wenn sie bestimmte Fitness-Ziele erreichen. Wer sein Programm erfolgreich absolviert, bekommt einen Dollar Belohnung pro Tag. Sind 20 Dollar erreicht, gibt es einen Amazon-Gutschein. «Jeder geht in New York zu Fuß, unsere Mitglieder werden dafür bezahlt», heißt es in der Werbung. Der maximale Erlös ist auf 20 Dollar im Monat und 240 Dollar im Jahr begrenzt. Noch ist Oscar nur in New York und New Jersey am Start. Doch die Zeit ist günstig, um das Konzept groß rauszubringen.—pagebreak—
Daten-Tracking boomt. Mit Wearables, wie der mit Spannung erwarteten Apple Watch, kann die eigene Fitness und Ernährung anhand von Laufleistung, Kalorienverbrauch und anderen Daten im wahrsten Sinne des Wortes auf Schritt und Tritt verfolgt werden. Für den Gesundheitssektor könnte das enormes Potenzial bieten. «Dafür müssen Wearables sich jedoch von Fitness Instrumenten der Gesunden zu zuverlässigen Hilfsmitteln für die Krankesten unter uns entwickeln», meint Experte Harry Greenspun von der Beratungsfirma Deloitte. Eine Umfrage von PricewaterhouseCoopers ergab, dass aus Sorge um ihre Privatsphäre bislang nur wenige US Verbraucher bereit sind, ihre Gesundheitsdaten zu teilen. «Es wird entscheidend sein, sich mit diesen Bedenken zu befassen», sagt Vaughn Kauffman von PwC Health Industries. Und in Deutschland? Zwar bieten Krankenkassen schon länger «Aktiv-Prämien» als Fitness-Anreiz an. Das läuft bislang aber ganz klassisch mit Scheckheft und Sammelpunkten.
Dass sich das freiwillige Daten-Teilen mit der Versicherung hier in absehbarer Zeit durchsetzt, darf bezweifelt werden. Der Argwohn gegenüber Big Data ist in Deutschland traditionell groß. «Wohin mag es noch führen, wenn die Versicherung automatisierten Zugriff auf meinen Körper haben darf?», fragte sich der «Zeit-Online»-Kolumnist Gero von Randow kürzlich, nachdem er sich Gedanken über sein Fitness-Armband gemacht hatte. «Außerdem: Wo landen die Daten womöglich noch überall, wer könnte sie zu unlauteren Zwecken nutzen?» (dpa)