«Es ist anders als Outsourcing und auch anders als Hosting», sagt ein Amazon-Partner aus München und dass es «eine Zeit gedauert» habe, bis er den Unterschied verstanden hatte. Wir treffen ihn auf dem AWS Enterprise Summit in Frankfurt an der Kaffeetheke. Rund 1.300 Kunden, Partner und Interessenten haben sich versammelt und tauschen sich über Projekte, DevOps und neue Dienste aus. Bezeichnend ist, dass die Vorträge am besten besucht sind, bei denen es um neue Services und die Umsetzung geht. Das reichhaltige Angebot an Security und Datenschutzthemen interessiert die Besucher eher weniger. Das Interesse ist so groß, dass die gedruckten Programme vergriffen sind und das Essen kaum ausreicht. Manche Vorträge sind so voll, dass trotz großzügiger Bestuhlung noch einmal so viele Zuhörer stehen. Den Besuchern ist das egal. Offensichtlich hören sie die richtigen Inhalte: Kollegen aus großen und mittelständischen Unternehmen berichten und diskutieren – erstaunlich offen – über ihre AWS-Projekte. Das sei hier anders als im klassischen IT-Umfeld, bestätigt der Partner. «Da halten sich viele Systemhaus-Kollegen lieber bedeckt. Hier sprechen alle völlig offen darüber, mit welchen Kunden sie an welchen Projekten arbeiten.» Alle haben gut zu tun. Schnell genug Ressourcen zu beschaffen, sei das Problem. Der Partner weiß, wovon er spricht. Neben Cloud Computing mit Amazon AWS und Microsoft Azure betreibt das Unternehmen auch ein großes, klassisches Systemhaus-Geschäft. Er selbst soll dafür sorgen, dass man den Anschluss an die neuen Entwicklungen nicht verpasst.
Es geht um Software und um Geschäftsprozesse, die in Software abgebildet werden. Eine große Entwicklung einer monolithischen Anwendung, so die Theorie, nimmt Unternehmen die Flexibilität, auf Veränderungen schnell zu reagieren. Also zerlegen die Architekten die Software in viele kleine Dienste, die für bestimmte oder universell für mehrere Zwecke einsetzbar sind. Weil das abstrakt ist und vielleicht nicht ganz einfach zu verstehen, ein Beispiel: Als Amazon neben Büchern auch andere Artikel verkaufen wollte, sagen wir Schuhe, stellte man schnell fest, dass der existierende, sehr gut funktionierende Shop nicht als Online-Schuhgeschäft geeignet war (Bücher treten nicht in Paaren auf, haben keine Schuhgröße und werden kaum getauscht, weil sie nicht passen). Statt einen neuen Shop für Schuhe zu entwickeln oder den bestehenden zu verbiegen, entschlossen sich die Verantwortlichen, ihn neu und flexibel zu konzeptionieren. Es gibt Funktionen, die für alle Einkaufsvorgänge gelten, wie Einkaufswagen oder Zahlungsabwicklung. Und dann gibt es mehr oder weniger spezielle, die für mehr oder wenigere Warengruppen zutreffen.
Aus jeder Funktion wird ein Dienst, für den ein kleines Team zuständig ist (Stichwort Two Pizza Teams: eine amerikanische Jumbopizza ernährt rund vier Entwickler). Aus der Kombination und im Zusammenspiel der Dienste entstehen Anwendungen. Zum Beispiel im Internet der Dinge (IoT): die sichere Abfrage eines Sensors in einem Motor, Übertragung des Wertes, Verarbeitung nach Regeln im Amazon Rechenzentrum, sichere Rückübertragung des richtigen Steuerbefehls an den Motor. Die Dienste nutzt Amazon nicht nur selbst, sondern stellt sie den Kunden auf ihrer Infrastruktur zur Verfügung. Weil bei Amazon viele Entwickler in kleinen Teams damit beschäftigt sind, Geschäftsprozesse zu zerlegen und deren Teile zu digitalisieren, entstehen ständig neue Dienste, die immer weitere Teile des Geschäftslebens abdecken. Fertig ist das Cloud Computing à la AWS.
Deshalb rät Amazon seinen Kunden: «Entwickelt die Kerndienste, die Euer Geschäft ausmachen, selbst und verwendet für alles andere unsere Dienste auf unserer Infrastruktur.» Deshalb rät Amazon seinen Kunden: «Digitalisiert Euer Geschäft und denkt in Diensten, nicht in Anwendungen.» Deshalb steht die enge Verzahnung von IT-Betrieb und Entwicklung im Mittelpunkt (Stichwort DevOps) und deshalb berichten fast alle Amazon Kunden: «Wir haben schnell bemerkt, dass wir uns anders organisieren müssen.» Denn erst dann entfaltet Cloud Computing seine wirklichen Vorteile und verleiht Organisationen eine bisher unbekannte Flexibilität. Und das ist ganz anders als Hosting oder Outsourcing. Und weil das natürlich komplex ist und nicht für jeden Mittelständler möglich, ist ein großes Betätigungsfeld für IT-Dienstleister, die Amazon-Partner, entstanden. Die beraten, entwickeln und managen die Cloud Services. Und auch für andere Abteilungen verändern sich Dinge: «Erklären Sie Ihrem Einkauf am besten vorher, dass er nicht ausschreiben muss, wenn Sie einen zusätzlichen Cloud-Server bestellen wollen. Das war bei uns ein schwieriger Lernprozess. Cloud-Server sind ja eher so etwas wie Büroartikel», erklärt der IT-Verantwortliche eines Pharmakonzerns und die eine Hälfte des Publikums seufzt und nickt, die andere macht sich eine Notiz. «Diese Projekte laufen völlig an den klassischen Systemhäusern vorbei», sinniert der Amazon-Partner und dass sich hier unter der Oberfläche etwas «sehr Großes zusammenbraut.» Und das hat selbstverständlich Auswirkungen auf das klassische Systemhaus-Geschäft.