München hat genug von Linux. Nach zehn Jahren Vorbereitung und drei Jahren praktischer Erfahrung an den Arbeitsplätzen der Verwaltung will die Stadt die Reißleine ziehen und in die Windows-Welt zurückkehren. SPD und CSU haben dem Stadtrat zur Abstimmung am Mittwoch den Antrag vorgelegt, auf der Basis von Windows «stadtweit einheitlich marktübliche Standardprodukte» einzusetzen. Da beide Parteien eine klare Mehrheit haben, bedeutet dies das Aus für «LiMux» auf 20.000 städtischen Schreibtischen und damit für ein Vorzeigemodell von freier Software in der Verwaltung. Techniker und Systemadministratoren haben viel Energie in «LiMux» gesteckt, wie Beteiligte jetzt mit Blick auf das Aus bedauernd feststellen. Für eine möglichst einfache Bedienung haben sie Linux mit Bausteinen der Projekte Ubuntu und KDE an die Bedürfnisse der Verwaltung angepasst. Sie haben Brücken gebaut zwischen der Microsoft-Office-Welt und dem Open-Source-Paket Libre Office mit seinen Anwendungen für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und anderes. Und sie haben sich liebevoll um ihre «Eierlegende WollMux» gekümmert, eine für «LiMux» entwickelte Sammlung von Dokumentvorlagen, Briefköpfen, Formularen und Textbausteinen. Aber aller Mühe zum Trotz fällt das Urteil der Stadtregierung negativ aus.
«Eine einheitliche und komplette Umstellung auf Linux war nie möglich, weil viele sehr spezifische Fachanwendungen in den Referaten Windows erfordern», erklärt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Als Folgen nennt er auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur einen hohen Aufwand und die mangelnde Einheitlichkeit der Software-Ausstattung auf den Arbeitsplatzcomputern, «unter der sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Anwenderinnen und Anwender leiden». Strategisches Ziel sei es jetzt, «dass die städtischen Anwendungen sowohl für die Bürgerinnen und Bürger, als auch für die städtischen Beschäftigten optimal funktionieren». Das war bereits ein Ziel bei der Entscheidung für «LiMux», 2003 mit der damaligen Mehrheit von SPD und Grünen beschlossen. Einen womöglich entscheidenden Fehler sieht der Vorstandsvorsitzende der Open Source Business Alliance (OSBA), Peter Ganten, aber darin, dass die Einführung von «LiMux» mit einer Neuordnung der gesamten IT-Infrastruktur in der Münchener Verwaltung verknüpft wurde. Vor der Zentralisierung habe jedes Amt seine eigene Stelle für Informationstechnik gehabt, schnell erreichbar für die Beschäftigten im gleichen Haus. Die bei einer solchen Umstellung üblichen Schwierigkeiten seien dann auf die Einführung von Linux geschoben worden, sagt Ganten.
Die eigentliche Bedeutung des Open-Source-Systems lag aber ohnehin nie bei den Computern auf dem Schreibtisch. Linux treibt vor allem Rechner an, die große Datenbanken und Web-Anwendungen steuern. Und dieser Trend habe sich mit der Aktualität von Cloud-Diensten, also über das Internet bereit gestellten Daten und Anwendungen, weiter verstärkt, erklärt der Open Source-Verbandschef Ganten. «Die Architektur bei cloud-basierten Anwendungen ist fast immer eine Open-Source-Infrastruktur.» Ganten nennt große Anbieter wie Google, Amazon oder 1&1.
«Die öffentliche Verwaltung in Deutschland ist da leider ziemlich hinterher», kritisiert Ganten. Manche Städte zahlten hohe Beträge an Microsoft, um veraltete Windows-XP-Installationen weiter zu erhalten. In anderen Ländern wie etwa Frankreich sei die Verwaltung weiter und schätze besonders die von Open-Source-Software unterstützte Vertrauenswürdigkeit im Umgang mit öffentlichen Daten. Nach dem Aus in München gehört Schwäbisch Hall zu den bekanntesten Kommunen, die weiter auf Linux setzen. «Die Stadtverwaltung kann mit Linux alle Aufgaben erfüllen», sagt dort der Technik-Abteilungsleiter Horst Bräuner. «Alle Fachanwendungen funktionieren an den Arbeitsplätzen.» In Ausnahmefällen werde Windows in einer virtuellen Umgebung zur Verfügung gestellt. Auch der Datenaustausch mit externen Kommunikationspartnern funktioniere einwandfrei.
Bei Microsoft wird der Münchener Weg begrüßt. «Wir sind gern Partner der Stadt, wenn es dazu kommt», sagt ein Sprecher der Deutschland-Zentrale in München. «Wir sind als Plattformanbieter aber auch nicht mehr dieselben wie 2003.» So habe Linux einen festen Platz in den Cloud Rechenzentren von Microsoft. «Inzwischen gehört das Trennende zur Vergangenheit, wir sind offen für alle Systeme und fokussiert auf den jeweiligen Nutzen für die Anwender.» Im Jahr 2001 hatte der damalige Microsoft-Boss Steve Ballmer Linux noch als «Krebsgeschwür» diffamiert. Sein Nachfolger Satya Nadella findet dagegen lobende Worte für das freie Betriebssystem. Beim Deutschen Städtetag wird der Frage nach dem Betriebssystem an Arbeitsplätzen der Kommunalverwaltung keine entscheidende Bedeutung mehr beigemessen. «In Zukunft werden immer mehr Anwendungen aus der Cloud angeboten», sagt ein Sprecher. «Damit wird die Frage, welches Computersystem verwendet wird, letztlich an Bedeutung verlieren.» Für die Open-Source-Community ist das «LiMux»-Projekt trotz allem hilfreich gewesen. Die Münchener haben sich aktiv in die Weiterentwicklung von Libre Office eingebracht. Und Code stirbt nicht, wird immer weiterentwickelt.