Wirtschaftsbetrüger haben in den vergangenen Monaten in großem Stil Unternehmen bundesweit um zweistellige Millionenbeträge erleichtert – indem sie sich als deren Chefs ausgaben. Das Landeskriminalamt NRW schlug am Mittwoch in Düsseldorf Alarm und wies auf den weltweit grassierenden «Chef-Betrug» («CEO-Fraud») hin. Seit Ende vergangenen Jahres hätten die Fälle stark zugenommen. «Es handelt sich um ein neuartiges Phänomen, eine perfide Betrugsmethode», sagte LKA-Chef Uwe Jacob. In NRW seien bereits 31 Millionen Euro ergaunert worden, davon konnten 20 Millionen Euro aber von den Ermittlern noch rechtzeitig «eingefroren» werden. Hinter dem Betrug stecke ein weltweit operierendes Netzwerk aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität. Das FBI beziffert den weltweiten Schaden auf 3,1 Milliarden US-Dollar (2,8 Milliarden Euro) in 100 Staaten. Dem Bundeskriminalamt wurden seit 2013 bundesweit 58 Betrugsfälle mit einem Gesamtschaden von 106 Millionen Euro bekannt. Der tatsächliche Schaden könne aber höher liegen, weil es dazu keine Statistik mit Meldepflicht gebe.
Es handele es sich um eine Weiterentwicklung des berüchtigten Enkeltricks, berichtete das LKA. Dabei meldet sich der vermeintliche Chef oder Finanzchef des Unternehmens «von oberster Stelle» beim zuständigen Buchhalter und drängt zur Eile: Für wichtige Transaktionen müsse dringend Geld überwiesen werden. Der Mitarbeiter wird zu «strikter Geheimhaltung» verpflichtet. Auf diese Weise landen große Geldsummen auf ausländischen Konten. Manchmal habe der Buchhalter Wochen zuvor einen Anruf vom vermeintlichen Chef erhalten, der ihm für seine Arbeit dankt. Nun glaubt er, seine Stimme wiederzuerkennen. Oft erfolge der erste Kontakt aber über eine gefälschte Email-Adresse.
Die Verpflichtung zur strikten Vertraulichkeit und vorbereitete Zahlungsaufträge mit der notwendigen, aber gefälschten zweiten Unterschrift setzten die Kontrollmechanismen in vielen Unternehmen außer Kraft: Auch erfahrene Buchhalter seien auf diese Weise bereits psychologisch manipuliert und zur Überweisung von Millionenbeträgen verführt worden. Die Masche sei vor etwa zwei Jahren zuerst in der Schweiz und im französischsprachigen Europa aufgetaucht, inzwischen haben laut FBI 100 Staaten weltweit solche Fälle registriert. Europol beziffere den europaweiten Schaden auf 500 Millionen Euro und zähle bereits 1.200 Fälle. Erste Ermittlungserfolge habe die norwegische Polizei verbuchen können. Das LKA hielt sich dazu aus taktischen Gründen aber bedeckt. Die Betrüger seien über das Unternehmen bestens im Bilde, hätten sich wochenlang vorbereitet und Informationen gesammelt, um ihren Angriff zu starten. Betroffen seien Großkonzerne und Mittelständler. Besonders anfällig seien patriarchalisch-autoritär geführte Unternehmen, in denen Zweifel und Widerspruch nicht erwünscht sind.
Das Geld werde bevorzugt in den chinesischen Sprachraum gelotst, weil es dort rasch weitergeleitet werden kann, bevor der Betrug auffällt. «Wir gehen von einem großen Dunkelfeld aus und vermuten, dass viele Versuche, aber auch viele erfolgreiche Betrugstaten gar nicht angezeigt werden – aus Angst vor Vertrauensverlust.» Dabei sei das rasche Einschalten von Polizei und Hausbank entscheidend, um das Geld zurückzubekommen. Die Täter hätten Varianten entwickelt: «In einem Fall wurde behauptet, die Steuerfahndung sei überraschend ins Haus gekommen und das Geld müsse rasch verschwinden», berichteten Experten von der Commerzbank und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Die betroffenen Buchhalter seien nach dem Betrug oft suizidgefährdet, warnten die Experten. Sie rieten zur Betreuung der Mitarbeiter. Es komme aber leider vor, dass diese im Unternehmen selbst unter Verdacht geraten und entlassen werden. (dpa)